Markus Enenkel – Entwickler der Dürre-App SATIDA

Markus Enenkel, Doktor der Naturwissenschaften

SATIDA – Dürre-App als Frühwarnsystem vor Dürre- und Hungerkatastrophen

Ein Forscherteam der TU Wien entwickelte eine Handy-App, die vor Dürre- und Hungerkatastrophen warnt. Durch die Verknüpfung von Satellitendaten unter Einbeziehung von lokalen sozio-ökonomischen Daten, die von App-Nutzer_innen erfasst werden, werden ganzheitliche Analysen und Prognosen von gefährdeten Gebieten möglich.

Rund um den Globus kommt es regelmäßig zu Dürreperioden, die zum Auslöser für lebensbedrohliche Hungersnöte werden. Wenn der Regen über einen langen Zeitraum ausbleibt, ist die gesamte Nahrungskette vom Mais bis zum Vieh bedroht. Damit fehlt nicht nur den Menschen unmittelbar das Wasser, die Dürre führt auch zu einer bedrohlichen Lebensmittelknappheit. Hitzeperioden und daraus hervorgehende Mangelernährung begünstigen darüber hinaus die Verbreitung von Krankheiten. Die rechtzeitige Planbarkeit von Hilfsleistungen ist in solchen Situationen unerlässlich, um Menschenleben zu retten.
Die bis dato verwendeten Prognosemodelle zur Vorhersage von Hungerkatastrophen, stützen sich in erster Linie auf Satellitendaten, beziehen aber sozio-ökonomische Faktoren wie kriegerische Auseinandersetzungen oder instabile Lebensmittelpreise, die die Nahrungsmittelallokation global beeinflussen, und die Ernährungssicherheit in einzelnen Weltregionen ebenfalls gefährden, noch nicht systematisch mit ein. Außerdem warnen die bisher eingesetzten Prognosemodelle de facto erst, wenn das Problem längst virulent ist.

Mit „SATIDA Collect“ frühzeitig Krisen erkennen

An diesen Schwachpunkten setzt die „Dürre-App“ an, die am Department für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien von einem Team rund um Markus Enenkel entwickelt wurde, um frühzeitig vor solchen Dürre- und Hungerkatastrophen zu warnen.
Neben dem Zugriff auf die Satellitendaten wie Vegetation, Bodenfeuchtigkeit oder Niederschlagsmengen nützen die Forscherinnen für die „Dürre-App“ auch einen Crowdsourcing-Ansatz, um auch sozio-ökonomische Daten vor Ort erheben zu können.
Die unterschiedlichen Daten werden wiederum miteinander und mit vergangenen Daten aus derselben Region verknüpft. Mithilfe von Smartphones, die inzwischen auch in weniger entwickelten Ländern weit verbreitet sind, werden diese unterschiedlichen Faktoren gesammelt und von den Wissenschaftler_innen ausgewertet.
Inzwischen wurde die „Dürre-App“ erstmals in einigen afrikanischen Regionen getestet. Unter dem Projektnamen „SATIDA“ arbeiteten fünf Organisationen an deren Umsetzung. Unter der Projektleitung der TU Wien waren auch die Universität für Bodenkultur Wien, das International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg, Ärzte ohne Grenzen und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik an diesem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft geförderten Projekt beteiligt.
2015 wurde SATIDA in der Provinz Kabo in der Zentralafrikanischen Republik einem erfolgreichen Testlauf unterzogen. In Zusammenarbeit mit den Ärzten ohne Grenzen wurden lokale Helfer_innen geschult, um Befragungen vor Ort durchzuführen. Die Fragen zur Ernährungssituation der Bevölkerung wurden von 100 Haushalten mit insgesamt ca. 900 Familienmitgliedern aus dieser Region beantwortet. Diese Daten wurden in der Folge über die App mit Smartphones erfasst und im Anschluss auf einen Server geladen, wo sie gemeinsam mit Satellitendaten den Forscher_innen zur Analyse zur Verfügung standen. Durch die Zusammenführung der Informationen aus diesen unterschiedlichen Datenbereichen kann wesentlich genauer prognostiziert werden, wo mit Nahrungsversorgungsknappheiten zu rechnen sein wird, und an welchen Orten in Folge auch Hungerkatstrophen drohen.
Die App wird gerade dahingehend weiterentwickelt, dass Hilfsorganisationen und NGOs in Zukunft auch eigenständig Muster und kritische Schwellenwerte in den Datenbeständen erkennen können, um rechtzeitig in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich, die erforderlichen Maßnahmen setzen zu können.
Dass es nicht nur auf Grund von Klimakatastrophen zu Hungersnöten kommt, belegten die Auswertungen des Feldtests in Kabo sehr klar. Die Forscher_innen kamen zum Ergebnis, dass nicht die geringe Niederschlagsmenge oder ausgetrocknete Böden der primäre Auslöser für die Ernährungsprobleme dieser Region waren, sondern vielmehr die Anwesenheit militärischer Truppen, die Bauern und Bäurinnen daran hinderte, ihre Felder zu bestellen.

NGOs können ihre Hilfsaktionen besser koordinieren

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen war in die Entwicklung dieses Frühwarnsystems von Anfang an involviert. Bei der NGO sollte damit eine Lücke in der Entscheidungsfindung geschlossen werden. Durch aktuelle Daten und den Abgleich der aktuellen Situation mit Daten von derselben Jahreszeit zum Beispiel vor einem Jahr, kann eine Prognose erstellt werden und die NGOs können bereits vor Eintritt einer möglichen Katastrophe analysieren, welche materiellen und personellen Vorsorgemaßnahmen nötig sein werden, um die Situation besser unter Kontrolle zu haben.
Ein weiterer großer Vorteil dieses Systems ist, dass es für unterschiedlichste Prognoseinteressen adaptiert werden kann. Egal, ob man sich für ein Monitoring der Gesundheit von Viehherden im Sahel oder die Effizienz von Impfaktionen interessiert, oder ob man Informationen für die Frühwarnung vor Epidemien benötigt. SATIDA sammelt und liefert Daten, die den unterschiedlichsten Problembereichen angepasst werden können.
SATIDA ist nicht nur eine App. Es ist vielmehr ein flexibles Framework, das eine Verknüpfung von Wissenschaft und Anwendung schafft, im vorliegenden Einsatzfall eben für Fragen von Dürreprognosen und Ernährungssicherheit. Zukünftig soll SATIDA aber laut Projektleiter Markus Enenkel in zahlreiche andere Richtungen adaptiert und weiterentwickelt werden. Enenkel ist der Wissenstransfer von der Forschung in die Anwendung ein besonderes Anliegen. Er sieht in der Kombination von Satellitendaten, die seiner Auffassung nach für alle nutzbar sein sollten, und der strukturierten Informationsbeschaffung durch crowdgestützte Datenerhebungen noch zahlreiche weitere wirkmächtige Prognosefelder für die präventive Planung von Krisenbewältigungsmaßnahmen in internationalem Maßstab.

Markus Enenkel
Dokotor d. Naturwissenschaften
TU Wien; Columbia University
SATIDA
www.satida.net