Graz zählt wahrscheinlich zu den Städten mit der größten Architektendichte pro Einwohner. Das hat seinen Grund. Und das spürt man auch.
Graz hat ein Luxusproblem. In kaum einer anderen Stadt gibt es, gemessen an ihrer Größe, so viele Architekten wie hier. Die Ursachen dafür liegen in der Vergangenheit:
Das vom viel zu früh verstorbenen Querdenker, Freigeist und Politiker Bernd Schilcher angetriebene Thinktankprojekt „Modell Steiermark“ hat in den 70er- und 80er-Jahren auch zahlreiche junge Architekten eingebunden. Dabei wurde unter anderem auch die Wohnbaupolitik des Landes Steiermark kreativ unterwandert, und unvermittelt stand zeitgenössische Architektur auch im Zentrum eines engagierten öffentlichen Diskurses. Es wurden Projekte realisiert, die in dieser Form etwa im Bereich des geförderten Wohnbaus bis dahin utopisch erschienen. Die gerade frisch den studentischen Zeichensaalfesten an den Architekturinstituten der Technischen Universität Graz entwachsenen Stürmer und Dränger dieser Jahre haben der Stadt Graz und der Steiermark in weiterer Folge eine Vielzahl beispielgebender Architekturprojekte hinterlassen. Nicht nur im Wohnbau.
Günther Domenig, Michael Szyszkowitz, Klaus Kada, Volker Giencke, Manfred Wolff-Plottegg waren nur einige jener Architekten und oft zugleich auch Universitätslehrer, die einen revolutionären Geist in der Architektur von Graz aus prägten. Bis heute zählt die sogenannte „Grazer Schule“ zu einem der bekanntesten Phänomene der Architektur. Obwohl sich deren Protagonisten dieses Label gar nie wirklich selbst zuschreiben lassen wollten.
Der kompromisslose Gestus und der Wille zu neuen Formen wirkte aber auch anziehend auf die nachfolgenden Generationen junger Architekten, die das Architekturstudium in Graz stürmten und sich in den Architekturbüros der großen Leitfiguren abzuarbeiten begannen.
Inzwischen sind schon beinahe zwei Generationen junger Architektinnen und Architekten in Graz herangewachsen. Und die nachdrängenden Jungen haben sich notwendigerweise auch an den „Altvorderen“ zu reiben begonnen. Das „Haus der Architektur“ war schon in den 90er-Jahren ein Ort manchmal doch recht heftiger Debatten.
Graz: Die jungen Architekten mischen sich ein
Die Kritik an den etablierten „Platzhirschen“ ist unter den jüngeren Architekten in letzter Zeit deutlich lauter geworden. So stößt die Struktur und Besetzung der Altstadtsachverständigenkommission vielen jüngeren Büros sauer auf. Im Onlinearchiv des unabhängigen steirischen Architekturportals www.gat.st lässt sich diese Debatte gut nachverfolgen. Kritisiert wird vor allem, dass es keine ausreichenden Unvereinbarkeitsbestimmungen für die aus der Architektenschaft vom Land bestellten Mitglieder dieser Kommission gibt. Mit dem Resultat, dass ein erheblicher Anteil jener Projekte, die im Altstadtkern in der jüngeren Vergangenheit gebaut wurden, auch von Architekturbüros betreut wurden, die – oft ununterbrochen über Jahrzehnte hinweg (!) – selbst Mitglieder dieser Kommission waren.
Bei der großen Anzahl an Architekturbüros in Graz geht es in diesem Kontext klarerweise auch um faire Marktzutrittsbedingungen vor allem für die jüngeren Büros. Dieses Thema setzte sich auch in einer seit etlichen Jahren geführten Debatte über die Einladungsmechanismen für private Architekturwettbewerbe fort, bei der sich Stadt Graz, Ziviltechnikerkammer und Wirtschaftskammer – nach entsprechendem „Druck von unten“ – auf ein Einladungsverfahren geeinigt haben, das auch jüngeren Architekturbüros die Chance einräumt zugelost zu werden. In der Zwischenzeit sind bereits einige Projekte nach diesem „Grazer Modell für Architekturwettbewerbe“ abgewickelt und realisiert worden. Über die richtigen Losverfahren wird aber nach wie vor heftig debattiert. Lustvoller Streit gehört eben zu einer architekturbewussten Stadt. Der Wettbewerb unter den vielen Architekten in Graz belebt aber letztlich auch die Phantasie. Und das gilt nicht nur für die tatsächlich realisierten Bauprojekte im engeren Sinn. Bei der Suche nach wirtschaftlichen Konzepten für ihre Büros sind etliche inzwischen in Nischen ausgewichen, in denen sich Architekten bislang nur gelegentlich betätigt haben. Die Betätigungsfelder breiten sich stetig weiter aus: Visual Design, Film- und Medienproduktion, Stadtteilmanagement, Journalismus, Architekturvermittlung, Festivalveranstalter etc., etc.
Oder sie stellen einfach mit einem zu einer begehbaren Camera Obscura umgebauten alten Wohnwagen die Welt auf den Kopf und tingeln damit als Raumwahrnehmungsveränderer durch die Lande. Daraus ist in Graz in den vergangenen Jahren ein kreatives und diskursfreudiges Amalgam entstanden, das seinesgleichen in anderen Städten vergleichbarer Größe sucht und die „geistige Architektur“ der Stadt prägt.
Aber: Ja. Gebaut wird von den „Jungen Grazern“ der Architektur klarerweise auch. Dabei erobern sie mit ihren Projekten zuvor oft unbeachtete Orte und Zonen, wie das Beispiel der „Veranda Schule“ Gabelsberger von tmp.architekten zeigt, dessen architektonische Qualität erst sichtbar wird, wenn man den Hof des Gebäudes betritt. Ulrike Tischler und Martin Mechs von tmp. architekten haben sich mit ihren Schulbauten mittlerweile internationales Ansehen erworben. Ihre Konzepte entstehen meist in enger Zusammenarbeit mit den pädagogisch Verantwortlichen der Schulen und sind in Architektur gegossene pädagogische Konzepte für neue offene Lernformen.
Einen in jeder Hinsicht eigenständigen Weg ist auch das Büro InnoCAD gegangen. Sie haben sich, um nicht nur von externen Aufträgen abhängig zu sein, viele ihrer Projekte als Projektentwickler einfach selbst erfunden. Inzwischen kann das Büro auf eine beeindruckende Liste realisierter Projekte verweisen. Viele davon in Graz. Darunter auch die Anlaufstelle für jeden Graz Besucher: Das Informationsbüro von Graz Tourismus im Grazer Zeughaus.
Eine etwas abgewandelte Form der Eigenprojektentwicklung – man könnte sie das „Kuckuckseiprinzip“ nennen – wendet Markus Pernthaler immer wieder erfolgreich an: Mit der ihm eigenen insistierenden Eloquenz und strategischem Geschick „erfindet“ er für andere Bauherren Projekte, an die diese zuvor meist noch gar nicht gedacht haben. In Graz zu besichtigende Ergebnisse dieser Strategie: Helmut-List-Halle, Rondo und der Science Tower. Ein ganzes Stadtteilentwicklungsprojekt, die „Smart City Graz“, gut erschlossen westlich an den Grazer Hauptbahnhof angrenzend, hat er der Stadt dabei quasi in einem Aufwaschen gleich noch mit vererbt.
Nach dem großen Schub der zahlreichen öffentlichen Neubauten im Kulturhauptstadtjahr 2003 wurden in jüngerer Zeit vor allem im Bereich der Grazer Universitäten eine Reihe von wichtigen neuen Projekten realisiert, bei denen sich junge Grazer Architekturbüros gegen renommierte internationale Mitbewerber durchsetzen konnten: Das Theater im Palais der Kunstuniversität von balloon architekten oder die neue Universitätsbibliothek, bei der sich Thomas Pucher im Wettbewerb durchsetzen konnte. Pucher war Gründungsmitglied des inzwischen ebenfalls höchst erfolgreichen Architekturbüros LOVE, deren Credo wohl auf die meisten jüngeren Architekturbüros in Graz übertragbar ist: „Wir machen das, was wir tun extrem gerne.“ Stimmt. Das merkt man auch.
INFO: balloon architekten ZT-OG www.balloon-rgw.at Markus Pernthaler Architekt www.markus-pernthaler.at INNOCAD Architektur ZT GmbH www.innocad.at .tmp architekten www.t-m-p.org Atelier Thomas Pucher ZT GmbH www.thomaspucher.com Haus der Architektur Graz www.hda-graz.at