Milo Rau „Everywoman“ / Salzburger Festspiele

(c) Ursina Lardi / Daniel Seiffert

19. – 28.08.2020

Die Salzburger Festspiele feiern heuer ihr 100-jähriges Jubiläum. Über dieses Jahrhundert hinweg ist ein Stück die zentrale Konstante des Festivals geblieben. Hugo von Hofmannsthals Jedermann: Das Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes. 

Zum hundertsten Geburtstag des Festivals emanzipiert sich nun sogar der Tod: Der Theatermacher, Autor und Soziologe Milo Rau erarbeitet gemeinsam mit der Schweizer Schauspielerin Ursina Lardi die Produktion „Everywoman“, die bei den diesjährigen Salzburger Festspielen uraufgeführt wird. 

Milo Rau gilt als einer der politischsten Theatermacher Europas. Seine Arbeiten sind oft in einem Übergangsbereich zwischen politischem Aktivismus und Theater angesiedelt. Wenn Milo Rau Theater macht, dann schaut er dort genau hin, wo die meisten anderen gerne weg schauen: Von den Kongo Kriegen über Anders Breiviks Gedankenwelt, die Verurteilung und Erschießung des Ehepaares Ceausecou bis zu den Verbrechen des Kindermörders Marc Dutroux. Kapitalismuskritik und Kritik an den herrschenden Verhältnissen sind konstante Grundthemen seiner Arbeiten. 

Die Produktion „Everywoman“ greift das zentrale Motiv von Hofmannsthals Jedermann auf: Den Tod, der in das Leben eines Jeden tritt. „Bei uns ist es Everywomen. Wir blicken darauf aus der Perspektive einer Frau“, sagt Rau, der das Stück gemeinsam mit Ursina Lardi, die auch die Hauptrolle spielen wird, als Coautor entwickelt und Regie führt. Lardi und Rau haben schon bei früheren Projekten in ähnlicher Form zusammengearbeitet. Zum Beispiel bei der Produktion „Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs“, das Rau und Lardi auf gemeinsamen Recherchereisen entlang der Flüchtlingsrouten im Kongo entwickelt haben. 

Die Salzburger „Everywomen“ Produktion wollte das Duo ursprünglich vor allem in Brasilien auf einer besetzten Plantage erarbeiten. Doch dann kam Corona dazwischen und sie haben mit dem Projekt nochmals vollkommen von vorne begonnen. „Wir haben uns gefragt: Was haben wir eigentlich heute für einen Umgang mit dem Tod“, sagt Rau „Wir haben uns dabei zusammengetan mit einer Frau, die sehr krank ist und nicht mehr lange Zeit hat auf dieser Welt und haben mit ihr zusammen das Stück entwickelt. Es gibt also zwei „Everywomen“. Eine im Video. Und eine auf der Bühne: Das ist Ursina. Die nächste Frage, die wir uns gestellt haben war: Was ist die Rolle der Kunst darin? Heute gibt es für die Meisten ja keinen Gott mehr, der uns erlösen kann.“ 

Hofmannsthals Jedermann verpackt den „Tod des reichen Mannes“ noch in ein mit allegorischen Figuren ausgestattetes und von christlicher Morallehre bestimmtes Mysterienspiel. „Hofmannsthal hat sein Stück gleich nach dem ersten Weltkrieg, in der Zeit der Spanischen Grippe und angesichts des Totalfiaskos dieses großen Krieges geschrieben. Ich glaube, in dem Moment, als er die Rennaissance dieses leider sehr hölzernen Stoffes aus dem 16. Jahrhundert versucht hat, hatte er im Prinzip bereits alles verloren“, meint Rau. 

„Wir haben heute einen Kult des Lebens und eine Gesellschaft, die man als Todvermei- dungstheater beschreiben könnte“, sagt Rau „und ich denke, diese Rituale wie der Jedermann in Salzburg sind eigentlich zentrale Symbole dafür.“ Denn die allegorischen Figuren vom Tod über den Mammon bis zum Teufel machen es uns heute leicht, zum Tod im Jedermann auf Distanz zu gehen und nach der Vorstellung beschwingt den Prosecco zu genießen. 

Trotzdem will Rau seine Everywoman Produktion keinesfalls als einfachen Spiegel für die im Salzburger Festspielpublikum versammelten Eliten verstanden wissen. „Ich finde, der große Fehler des sogenannten politischen Theaters ist es ja, dass man sich in solche Kontexte hinein begibt, sie dann benutzt und kritisiert. Das ist ja absurd. Das mache ich nie. Das interessiert mich einfach nicht“, betont Rau. „Ich sehe dieses Stück größer und struktureller. Ich habe mich wirklich für diese existentielle Frage interessiert. Ursina und ich wollten ihr einfach einmal nicht ausweichen: Was ist mit diesem Tod? Everywomen ist kein glatt politisches Stück. Auch kein allegorisches Stück, wie bei Hofmannsthal. Es ist eine assoziative Befragung dieser beiden Frauen zu ihrem Leben.“ 

Für Milo Rau war vor allem die Zusammenarbeit mit der todkranken Frau, die im Bühnenstück in Form von Videozuspielungen vorkommen wird prägend: „Ich habe zwei Dinge gelernt. Zum Einen: Ich habe bei ihr das Gefühl, sie ist Erzieherin, dass sie tatsächlich auf ein Leben zurück blicken kann, das wirklich sinnvoll war. Das ist ja auch ein zentrales Motiv bei Hofmannsthal. Und der andere Punkt ist, dass man sich auch selbst diese existentielle Tatsächlichkeit des eigenen Todes bewusst macht. Was auch dazu führt, dass man bei der Einschätzung, was wichtig ist und was nicht, vielleicht auch eine neue Form der Sanftheit entwickelt. Als jemand, der 20 Jahre sehr politisch gearbeitet hat, merkt man dann auf einmal: Es zählen auch andere Dinge. Man entdeckt gewissermaßen auch den Jedermann in sich selbst. Eine zentrale Botschaft die daraus entsteht ist, dass erst aus dem Leben in Gemeinschaft ein Sinn entsteht. Ich glaube nicht, dass jemand für sich allein leben kann. So funktioniert der Mensch nicht.“ 


Everywoman
19. – 28.08.2020
Salzburger Festspiele
Various locations
www.salzburgerfestspiele.at