Das Zeitalter der Beziehungen – Interview mit Architekt und Designer Andrea Paoletti

(c) Domenica Maiorino

Andrea Paoletti ist ein Architekt und Designer aus Matera im Süden Italiens. In seiner Arbeit dreht sich alles darum Beziehungen und Gemeinschaften zu entwickeln und aktivieren. In diesem Interview erzählt er uns über Social Design Prozesse und wie man Menschen, Dinge und Orte miteinander verbindet.

Social Design ist ein Designansatz, der den Mensch und soziale Fragen in den Mittelpunkt stellt. Ziel ist es, das soziale Gefüge einer Stadt zu gestalten, soziale Ungleichheiten zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern. Sie arbeiten als Architekt und Designer seit 2005 in diesem Bereich. Was würden Sie sagen, ist die Essenz ihrer Arbeit im Social Design?
In meiner Rolle geht es darum, Beziehungen zu schaffen. Das ist es, was ich relationale Designprozesse nenne: Menschen mit einem beziehungsorientierten sozialen Zweck zu verbinden. Das Wichtigste bei sozialen Designprozessen ist es, den Menschen zuzuhören. Gemeinsam Orte entwerfen, an denen neue Lösungen gefunden werden können, Prioritäten definieren und neue Perspektiven finden – all diese Schritte sind wichtig, um die Gemeinschaft durch den Prozess hindurch einzubeziehen.

Welche Methoden verwenden Sie in diesem Prozess?
Ich verwende eine Methodik, die Co-Creation oder Co-Design genannt wird. Das bedeutet, dass die Menschen immer von Anfang an in den Prozess eingebunden sind. Es ermöglicht ihnen, sich zu vernetzen, neue Ideen zu fördern und sie durch eigenes Handeln lernen zu lassen. Normalerweise schaffe ich Orte, an denen sich Menschen akzeptiert fühlen, an denen sie sich selbst ausdrücken und ihre Kreativität nutzen können.

Einer dieser Orte ist Casa Netural in Matera, der erste Co-Working und Co-Living Space Italiens. Was genau passiert dort?
Casa Netural ist ein sozialer Ort, an dem der Mensch im Mittelpunkt aller Projekte steht. Casa Netural ist offen für alle Menschen und lädt dazu ein zusammenzukommen und an neuen Lösungen zu arbeiten. Wir versuchen eine Plattform zu bieten, um Menschen zu verbinden, indem sie gemeinsam Dinge tun. Es ist ein Ort, an dem wir lehren, lernen und diskutieren.

Diskutiert wird unter anderem die Rückeroberung des öffentlichen Raums für die Menschen.
Am Anfang aller Projekte von Casa Netural steht ein Prozess, der die Menschen dazu einlädt zusammenzukommen und gemeinsam an der Entwicklung einer neuen Identität zu arbeiten. Das ist sehr wichtig, um Vertrauen und Empathie zu fördern und auch um etwas zu schaffen, auf das die Menschen sehr stolz sind. Wir stellen Werkzeuge zur Verfügung, mit denen die Menschen mit losem Material arbeiten können, um den öffentlichen Raum für sich zurückzuerobern. Private oder öffentliche Räume müssen auf eine bestimmte Art und Weise passen. Sie müssen zu den Protagonisten und dem Bild der Gemeinschaft passen.

Dieser Ansatz Menschen zu verbinden indem man gemeinsam an etwas arbeitet kann auch nützlich für die Wiederbelebung von peripheren Regionen sein, wie zum Beispiel das Dorf Grottole in Süditalien. Was können Sie uns über dieses Projekt erzählen?
In Grottole haben wir einen Prozess zur Wiederbelebung des historischen Zentrums gestartet. Wir haben damit begonnen die lokale Gemeinschaft mit anderen Menschen, die hierher kommen wollten, zu verbinden. Regionen wie Grottole müssen eine neue Art von Zentralität und eine neue Geschichte für sich selbst entwickeln. Wie man sieht, geht es bei allen Prozessen darum, die Beziehungen der Menschen zu verbessern. Es ist ein nie endender Prozess. Wir wissen, wo wir anfangen müssen, aber wir wissen nicht, was der letzte Schritt sein wird.

Wenn wir über die Reaktivierung von Orten und die Eroberung des öffentlichen Raumes sprechen, geht es nicht nur darum Menschen mit Menschen zu verbinden, sondern auch Menschen mit Orten. Ein weiterer Ansatz in Ihrer Arbeit?
Genau. Ein anderes Projekt in Matera konzentriert sich mehr auf die Entwicklung eines neuen nachhaltigen Modells für die Zukunft. Wir erfassten die grünen, verlassenen Flächen von Matera und brachten sie mit Communities zusammen, die diese Flächen für die Entwicklung ihrer Projekte benötigten. Mit dem Projekt Agroagri verwandelten wir eine Grünfläche in einen öffentlichen Stadtpark, in dem sich nun Gemüsegärten, verschiedene Veranstaltungsorte und ein Kindergarten befinden.

Sprechen wir zum Abschluss über Technologie und soziale Beziehungen. In gewisser Art und Weise hat Technologie den direkten sozialen Kontakt ersetzt; gleichzeitig jedoch Menschen auf der ganzen Welt miteinander verbunden. Welche Rolle spielt Technologie in ihrer Arbeit im Social Design? Die Technologie ist für uns nur wichtig, um mehr Menschen zur Beteiligung zu bewegen. Jedes Projekt hat ein anderes Skalierungssystem, je nachdem ob man sich auf die lokale Gemeinschaft konzentrieren oder Menschen international verbinden möchte. Für eine breitere, internationalere Gemeinschaft brauchen wir Technologie, insbesondere soziale Medien. Urban-Gardening-Projekte zum Beispiel brauchen keine Technologie, weil es um die Menschen vor Ort und die Nachbarschaft geht.

Andrea Paoletti ist Architekt und Social Designer aus Matera in Süditalien. Sein Schwerpunkt liegt auf der Gestaltung von Räumen für den sozialen Wandel und der Schaffung und Aktivierung von Gemeinschaften. Er leitet, involviert und begleitet seine Kunden während des gesamten Designprozesses, kümmert sich akribisch um jedes Detail, managt und koordiniert die Arbeit mit anderen Fachleuten und geht auf die Bedürfnisse des Budgets ein.

www.andpaoletti.it
Casa Netural: www.benetural.com
Wonder Grottole: www.wondergrottole.it
Matera – Von der Steinzeit in den Cyberspace, Dokumentation: bsx.at/matera-dokumentation/