20.10. – 01.11.2022
Das Filmfestival VIENNALE wird heuer zwar schon 60. Ist aber noch lange nicht pensionsreif.
VIENNALE Intendantin Eva Sangiorgi widmet die VIENNALE ´22 dem Thema Filmfestival an sich: „ON FESTIVAL“ lautet das Motto dieser Jubiläumsausgabe. Rund um das eigentliche Filmprogramm versammelt die VIENNALE Angehörige der Filmbranche und Festivalexpert:innen, die gemeinsam über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Filmfestivals nachdenken und diskutieren.
Denn der Aufstieg der Streamingdienste, die damit verbundenen Veränderungen der Formen der Filmverwertung und Filmgestaltung, wirken sich auch unmittelbar auf Filmfestivals als solche aus. Die Coronajahre haben es mit sich gebracht, dass viele Filmfestivals mit hybriden Festivalaustragungsformen zu experimentieren begonnen haben oder – während des Höhepunktes der Pandemie – ausschließlich online stattgefunden haben. Das Kinobesuchs- und Filmrezeptionsverhalten des Filmpublikums hat sich vor diesem Hintergrund ganz generell verändert.
Filmfestivals, die neben dem künstlerischen Programm auch einen starken Branchenprogrammanteil haben, bekommen diese Veränderungen am stärksten zu spüren. Viele Pitchingforen und Coproduktionsmärkte haben sich bereits zu einem nicht unerheblichen Teil in den digitalen Raum verlagert. Und werden von dort wohl nicht mehr in der alten Form vor Ort zurückkehren.
Für die meisten Cineast:innen und die Filmbranche selbst bleiben die live ausgetragenen Festivals aber trotzdem unersetzbar. Die unmittelbare Nähe und der regelmäßige direkte Austausch unter Kolleg:innen ist für diese stark projektbezogene Kunstform, bei der Produktionsstäbe und Besetzung bei praktisch jeder Produktion von nahezu Null beginnend neu zusammengestellt werden, unersetzlich.
Auf unmittelbare Nähe setzt auch Ruth Beckermann mit ihrem Film „Mutzenbacher“, der bei der diesjährigen Berlinale in der Encounters-Sektion den Preis für den Besten Film gewonnen hat und auch auf der VIENNALE gezeigt werden wird. Beckermann platziert im Rahmen einer Castingsituation jeweils 4 Männer auf einem Sofa. Den Castingteilnehmern wird eine ihnen vorher unbekannte Textpassage aus dem erotischen Roman „Josefine Mutzenbacher“ übergeben, die sie vor der Kamera vorlesen sollen und werden im Anschluss von der Regisseurin zur Textpassage befragt. Beckermann gelingt damit eine gesellschaftsnahe Analyse über das Verhältnis von imaginierten Bildern, Sprache uns Lust.
Die Lust an der Sprache steht auch im Mittelpunkt eines weiteren Filmes, der auf der VIENNALE zu sehen sein wird: Der Dokumentarfilm „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ von Claudia Müller zeichnet ein komplex gewobenes Portrait der meist medienscheuen Literaturnobelpreisträgerin. Kaum eine andere Schriftstellerin hat in der jüngeren Vergangenheit so polarisiert wie Jelinek. Sie wird beschimpft, beleidigt, verehrt und mit den bedeutendsten Literatur- und Theaterpreisen gewürdigt. Jelineks Sprache ist komplex. Diese Komplexität von Literatin und ihrer Sprache spiegelt Claudia Müller auch in der Komplexität der visuellen Sprache ihres Dokumentarfilmes wider, in dem sie mit einer Unzahl von found footage und Archivmaterial ein collageartiges Bild von Jelinek zeichnet.
Das Festivalpublikum der diesjährigen VIENNALE hat also viel über das Festival und seine Filme zu reden. Aber nur, wenn man auch hingeht.
VIENNALE ’22
20.10. – 01.11.2022
Various locations, Wien
www.viennale.at