Innovationskulturen und Potenziale
von Sabine Pümpel
Warum sind manche Unternehmen innovativer als andere? Wie funktioniert das Zusammenspiel unterschiedlicher Systeme im Wechselspiel von Chaos und Ordnung, um mit Hilfe von Kreativität Neues zu schaffen? Welche Rahmenbedingungen braucht es für einen kreativen Prozess? Die DNA der Kreativwirtschaft verlangt nach einer offenen Innovationskultur, damit sie der Treibstoff für eine Wirtschaft und Gesellschaft von morgen sein kann.
I.
Warum sind manche Unternehmen innovativer als andere? Warum erreichen manche Menschen, was alle anderen nicht schaffen? Dieser Frage ging vor ein paar Jahren der Berater und studierte Kulturanthropologe Simon Sinek, der mittlerweile an der Columbia University lehrt, nach. Und fand eine überraschende Antwort: Das Erfolgsmuster aller erfolgreichen Menschen, Unternehmen und Organisationen, das sie vom Rest der Welt unterscheidet, liegt darin, dass im Zentrum ihres Denkens und Handelns die Frage nach dem WARUM steht: Warum tun wir, was wir tun? Was ist die Motivation dahinter, und was können wir damit bewirken? Mit dieser simplen Beobachtung und Feststellung hat sich Sinek einen Platz unter den gefragtesten Beratern und Rednern weltweit gesichert. „Start with why“, so sein Rezept erfolgreichen Führens. Überraschend deswegen, weil es das Gegenteil der vorherrschenden Orientierung ist. Während wir alle darauf konditioniert sind, unseren Fokus darauf zu richten, WAS wir tun – und damit auch gleich die Antwort auf das WIE zu finden – haben wir die Frage, WARUM wir das tun, in den Hintergrund geschoben. Im Zeitalter des industriellen Fortschritts haben wir das WAS und WIE zum vorherrschenden Paradigma unseres Denkens und Handelns erhoben.
Es sind die Grundsäulen jedes wirtschaftlichen Geschäftsmodelles, ausgerichtet auf maximale Produktivität und Wettbewerbsvorteil. Das führt zwar zu laufenden Verbesserungen und Optimierungen, aber nur indem an den kleinen Schrauben gedreht wird, und das Bestehende grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. In Zeiten permanenter Krisen ist das aber kein Weg zur Problemlösung, die an den Wurzeln ansetzen muss.
Schauen wir auf die Kreativwirtschaft, dann ist die intrinsische Motivation ein Charakteristikum, das von jeher der Motor für kreatives Schaffen war und ist. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich darin ein großer Vorteil: Denn Kreative haben eine ausgeprägte Sensibilität für alles, was um sie und damit um uns herum passiert, sie gehen den Dingen an die Wurzeln, analysieren die Ursachen und nicht die Symptome, betrachten Probleme von allen möglichen Perspektiven und finden im Vernetzen und Neukombinieren des Analysierten neuartige Problemlösungsansätze. Dass dabei die Frage nach dem Warum und die Identifizierung mit der eigenen Arbeit über dem Gewinnstreben steht, hat die kreativen Disziplinen lange Zeit an den Rand wirtschaftlicher Relevanz verbannt. Erst jetzt, im Zuge des Gesellschaftswandels, der uns die Grenzen einer auf steter Produktivitätssteigerung und damit verbundener Ressourcenausbeutung aufbauenden Wirtschaft aufzeigt, können und sollten wir die Kreativwirtschaft einer Neubewertung unterziehen. Denn als Role Model für alternative, sinnstiftende Arbeitsformen und -modelle steht die Kreativwirtschaft tatsächlich exemplarisch für eine neue werteorientierte und damit zukunftsfähige Wirtschaft. Sei es der nachhaltige Umgang mit Materialien, die Lösung sozialer Probleme, das Verändern von Konsumgewohnheiten, die Bewältigung des digitalen Overloads oder die Nutzbarmachung von Netzwerken, Kreative sind oftmals die First Mover im Bereich sozialer Innovationen und neuartiger Geschäftsmodelle, die Unternehmertum mit sozialem Impact und Kreativität verbinden. Sie besitzen ein Bewusstsein für die gesellschaftliche und ökonomische Wirkung des eigenen Handelns, gepaart mit der Fähigkeit und Sensibilität, Veränderungen schon sehr früh wahrzunehmen, wenn nicht sogar vorweg zu nehmen.
Der Wunsch nach Verbesserung einer Situation entsteht vielfach aus einem persönlichen Mangel oder aus einem persönlichen Bedürfnis. Der Gestaltungswille, der diesem Bedürfnis folgt, wird aber über das persönliche Interesse hinaus in den Dienst einer Allgemeinheit, eines Gemeinschaftsinteresses gestellt. Die Lust nach unkonventionellen Lösungen, die aus der Fähigkeit entsteht, immer wieder die Perspektive zu wechseln, Gegebenes zu hinterfragen, Vorhandenes neu und experimentell zu kombinieren, ist eine Problemlösungskompetenz Kreativer, die der Kreativwirtschaft eine tragende Rolle in der Notwendigkeit und dem Streben nach Innovation zukommen lässt. Dass dabei die Werteorientierung vor alles Andere gestellt wird, macht die Kreativwirtschaft zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft.
II.
Die Lust, etwas Neuartiges schaffen zu wollen, das die Lösung eines sozialen Problems mit einem hohen Maß an Motivation und Identifizierung verbindet, war auch der Ansporn für Martin Hollinetz und sein OTELO-Projekt: Die Schaffung offener Technologie-Labors am Land, wo engagierten Menschen Raum, Infrastruktur und Beratung zur Verfügung gestellt wird, um ihre Ideen verwirklichen zu können. Im Vordergrund steht das Miteinander, das Kooperieren und Teilen, das Austauschen und Experimentieren, ob als Hobby oder professionell, ob als Pensionist oder Start-up. Vom Kochen und Ernähren über Musizieren, Drechseln und Elektronikbasteln bis zu 3D-Drucken und Reparieren reichen die Betätigungsfelder. Entstanden ist Otelo ausgehend von einer Machbarkeitsstudie in Oberösterreich, die den Bedarf kreativer Räume mit niederschwelligem Zugang für Menschen jeden Alters am Land auslotete. In einer Region, die von Abwanderung und Überalterung bedroht war, fanden sich rasch engagierte Mitstreiter für die Idee, abseits urbaner Ballungszentren etwas bewegen zu wollen – mit den Denk- und Arbeitsweisen der Kreativwirtschaft. Ungewöhnlich ist dabei auch die Organisationsform und Struktur, die man zur Führung der Labors gewählt hat: eine Art Genossenschaftsmodell, das dem kooperativen Charakter Rechnung trägt, und dennoch jedem einzelnen Mitglied Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gewährleistet. Die Otelo Basis besteht aus unabhängigen, durch eine Charta verbundenen, ehrenamtlich geführten Vereinen, die für den „Humus“ sorgen, die eGen dient als „Treibhaus“ für die Umsetzung von Ideen sowie für die Weiterentwicklung des Netzwerkes. Zudem lässt sich das Modell vervielfältigen. So ist seit der Gründung der ersten beiden Otelos in Vöcklabruck und Gmunden mittlerweile ein beachtliches standortübergreifendes Netzwerk entstanden.
Otelo ist ein Otelo ist ein Beispiel dafür, nach welcher offenen Innovationskultur die Kreativwirtschaft funktioniert und welches Innovationspotenzial in ihr steckt: Wie aus Bedürfnissen Absichten und Ziele entstehen und daraus wiederum in einem experimentellen Zugang neuartige Angebote, die weit über den ursprünglichen Bereich hinaus Modellcharakter haben und Zugkraft entwickeln. Funktionierende Ideen und Formate aus der Kreativwirtschaft können sich aufgrund ihres offenen und sozialen Charakters schnell ausbreiten und von anderen übernommen werden. Sie können eine Wirkungsweise entfalten, die über die unterschiedlichsten communities hinweg soziale Innovationen ermöglicht. Sie schaffen Möglichkeitsräume, die wesentlich mehr Innovation zulassen als geschlossene Systeme und den Menschen mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Es ist eine open innovation-Kultur, die allerdings nur dann funktioniert, wenn sie offen bleibt, und nicht wieder – wie es oftmals am Beratermarkt zu beobachten ist – in einen starren Methodenkasten überführt wird. Dass dabei, wie das Beispiel Otelo zeigt, technologische und soziale Innovationen Hand in Hand gehen, ist ein weiterer Wirkungseffekt. Nichts drückt das besser aus als der Otelo-Claim: „Otelo tut nichts, Otelo ermöglicht.“
III.
Die Grundstruktur des Trägers der Erbinformation aller Lebewesen, der DNA, ist eine Doppelhelix: zwei parallel zueinander laufende Stränge um eine gemeinsame Achse. Ein Bild, das recht gut die Funktionsweise der Kreativwirtschaft beschreibt, mit all ihren Verdichtungen und Furchen. Es ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Schleifen, das Wechselspiel von Chaos und Ordnung, von Sinngebung und Inspiration mit Struktur und Funktion, von Kreativität und Experimentierfreude mit Gestaltungswille und Formgebung. Es ist die Kombination aus dem WARUM, verbunden mit einem andersartigen WIE, die der Treiber in der Kreativwirtschaft ist. Darin liegt ihr großes Potenzial.
Aus einer mikroökonomischen Perspektive betrachtet, bringt es den ungeheuren Vorteil der Innovationsfähigkeit: Auf jede Frage, jedes Problem wird eine individuelle Antwort, eine innovative Lösung gefunden. Diese liegt nicht in der Wiederholung, in der Fortführung des Bestehenden, sondern im Vernetzen und Neukombinieren von Ideen abseits gewohnter Denkmuster und Pfade. Statt zu fragen, wie haben wir es bisher gemacht, geht es stets darum zu fragen, wie können wir es anders machen? Von dieser Innovationsfähigkeit der Kreativwirtschaft können wir viel lernen.
Aus einer makroökonomischen Perspektive ergibt sich daraus tatsächlich die transformative Kraft der Kreativwirtschaft, die sie zum Katalysator für Wandel und Erneuerung macht. Denn was sich im Kleinen als Mikroorganismus entwickelt, erfährt durch die Digitalisierung eine entsprechende Diffundierung und Ausbreitung – in ökonomischer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht. Die individuellen Antworten, die innovativen Lösungen, die sich vielfach als lokale neuartige Geschäftsmodelle präsentieren, treffen weltweit auf Gleichgesinnte, die sich vernetzen und so den Wandel beschleunigen. Die DNA der Kreativwirtschaft ist der Treibstoff für eine Wirtschaft und Gesellschaft von morgen, die schon jetzt begonnen hat. Um sie zu nutzen, dürfen wir nicht in alten Mustern verhaftet bleiben, dürfen ihr nicht mit alten Methoden begegnen und sie nicht in alte Strukturen und Ordnungen stecken. Wir dürfen nicht ihre DNA zerstören, sondern sie nutzen, indem wird ihre offene Innovationskultur übernehmen.
Die Autorin
Sabine Pümpel entwickelt und verstärkt seit 2004 Impulse für die österreichische Kreativwirtschaft – bis 2006 verantwortlich für den Aufbau und die Etablierung des ersten bundesweiten Förderprogramms (Impulsprogramm Kreativwirtschaft), seit 2008 innerhalb der aws (Austria wirtschaftsservice). Die gebürtige Vorarlbergerin studierte nach einjährigem Aufenthalt in Berkley, USA Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und war danach im Produktmanagement der Konzerne Kraft Foods/ Milka und Ikea tätig. Während ihres Sabbaticals 2015 engagierte sie sich für Social Businesses in Österreich und Südafrika. Seit 2015 ist sie im Visionary Programm von Ashoka, einem internationalen Netzwerk für Social Entrepreneurship.