Kreativwirtschaftspolitik auf der Sinnsuche
— Eric Poettschacher im Interview mit Hansjürgen Schmölzer
Kreativwirtschaft ist hip. Die damit verbundenen Hoffnungen sind groß. Es sollen viele neue Arbeitsplätze in diesem Segment entstehen, dafür gibt es auch unzählige Förderungen. Meist mit dem Ziel verbunden, dass sich aus innovativen Start-up-Ideen industriell skalierbare business-as-usual-Konzepte entwickeln lassen. Aber stehen diese wirtschaftspolitischen Hoffnungen überhaupt im Einklang mit den Wertewelten und der sozialen Realität dieser sogenannten Kreativen? Eric Poettschacher stellt den vorherrschenden wirtschaftspolitischen Paradigmen völlig andere Blickwinkel auf die Kreativen gegenüber, die einen weit über die wirtschaftliche Dimension hinausgehenden „Mehrwert“ für die Gesellschaft hervorbringen können.
Sie sind jetzt seit vielen Jahren als Berater im Bereich der Kreativwirtschaft tätig. Kann dieser Sektor tatsächlich die wirtschaftspolitischen Hoffnungen einlösen, die an ihn gestellt werden?
Ich stehe dem Hype um die Kreativwirtschaft und den damit verknüpften Erwartungen mittlerweile sehr distanziert gegenüber. Wenn man genauer hinsieht, sind die Hoffnungen der Förderpolitik, die ökologischen Realitäten und die Wunschvorstellungen vieler Kreativer nicht unbedingt kompatibel.
Von Seiten der Politik besteht natürlich die Hoffnung, mittels Kreativwirtschaft einen Beschäftigungseffekt zu erzielen und Wirtschaftsstandorte aufzuwerten. Viele schielen derzeit auf das Silicon Valley und sagen sich: Das wollen wir auch haben. Sexy Start-ups, die mit ihren Produkten einen globalen Markt erobern.
Dieses Ansinnen entspricht einem industriellen Paradigma, das heute mehr denn je in die Kritik gerät. In dieser Logik braucht es skalierbare Ideen, um damit so schnell wie möglich wachsen zu können. Bigger is better. Das alles passiert unter der Annahme, dass unendliches Wachstum möglich ist und es keine Ressourcengrenzengibt. Das war vielleicht mal so zu Zeiten von Adam Smith, aber heute stellen sich die Bedingungen des Wirtschaftens anders dar. Wenn man sie denn sehen will.
Aber kommen wir zurück zu den Kreativen. Tech-Firmen hatten es natürlich leicht zum Synonym für Kreativität und Innovation zu werden. Sie lassen sich am einfachsten standardisieren und skalieren. Ich kann mich noch an einen Venture Capitalist im Silicon Valley erinnern, der diese Vorstellung bei einer Präsentation schön auf den Punkt brachte. Er wollte ausschließlich über Innovationen reden, die sich per Knopfdruck millionenfach vervielfältigen lassen. Und dann fügte er hinzu: Bitte nichts mit Menschen. Menschen haben Launen, werden krank und sind unberechenbar. Diese Art zu denken repräsentiert aber nur einen kleinen Ausschnitt eines Sektors, den wir heute pauschal Kreativwirtschaft nennen. Während Tech-Start-ups heute zwar die größte Aufmerksamkeit genießen, gibt es doch ganz andere – und meines Erachtens zeitgemäßere – Business-Modelle, die nicht auf rigides Wachstum ohne Maß und Ziel setzen, und gerade deswegen erfolgreich sind. Diese Firmen agieren bewusst langsamer und nachhaltiger. Mal wachsen sie, dann verkleinern sie sich wieder. Damit sind sie aber nicht mehr die Job- und Wachstumsmaschine, wie sie die Wirtschaftspolitik gerne hätte. Dort sucht man noch immer nach dem Geheimrezept, wie man Einhörner am Fließband erzeugt.
Deswegen kann ich dieser Hip, hip, hurra-Stimmung und der Propaganda, die immerwährend betont, dass die Kreativwirtschaft unsere größte Zukunftschance ist, wenig abgewinnen. Sprechen wir hier von nachhaltig innovativen Business-Modellen, die es dringend braucht, weil business-as-usual keine Zukunft hat? Oder geht es um mehr vom selben – verpackt als ästhetischer und nachhaltiger Konsumerismus –, so dass alles so weitergehen kann wie bisher?
Aber es entstehen ja auch tatsächlich neue Arbeitsplätze in diesem Bereich.
Das ist richtig. Die Beschäftigung steigt nachweislich. Aber die Monitoring-Reports zeigen auch, dass in diesem Sektor oftmals gleichzeitig die Bruttoumsätze und die Bruttowertschöpfung pro Erwerbstätigen sinken. Mehr Menschen erwirtschaften und verdienen weniger. Da stehen sich Euphorie und Fakten diametral gegenüber. In der gegenwärtigen Goldgräber-Stimmung kann man kaum darüber sprechen, ohne dass man sofort zum Spielverderber wird.
Trotzdem zieht es im Augenblick unheimlich viele Menschen in dieses Segment.
Na klar. Dieser Sektor wird sehr attraktiv dargestellt. Unterschiedliche Altersgruppen verbinden unterschiedliche Erwartungen damit. Die Einen wollen aus ihren alten Organisationen ausbrechen und sich neu erfinden. Andere sehen in der Kreativwirtschaft wiederum ein Mekka der beruflichen Erfüllung. Und dafür sind sie dann auch bereit, Selbstausbeutung zu betreiben. Die Burn-Out-Rate im Gaming ist erschreckend hoch, da kommen selbst Manager aus der Old Economy nicht ran.
Im Augenblick scheint man auch bereit dafür zu sein, einiges an Fördergeldern in diesen Bereich zu invesren.
Das ist garantiert so. Zwischen Ecuador und Sibirien gibt es kaum mehr einen Standort, der nicht über Creative Industries Cluster verfügt. Viele Projekte werden inzwischen unter dem Blickwinkel entwickelt: Bekomme ich dafür auch eine Förderung? Ja, es wird wahrscheinlich mehr gefördert denn je. Ich würde gerne mal Zahlen und Fakten sehen, was aus den geförderten Projekten fünf Jahre später geworden ist. Diese Statistiken tauchen aber kaum auf.
Haben wir die falschen Förderprogramme?
Das kann und will ich so pauschal nicht beantworten. Ich kann nur sagen, dass ich inzwischen einen großen Unterschied mache zwischen Innovationen, die einfach nur neue Produkte auf den Markt bringen, und solchen, die Menschen oder ganze Märkte dazu bringen, über Konsum und Lebensstile nachzudenken.
Was können Kreative Substanzielles für die Gesellschaft leisten?
Kreative entwerfen nicht nur Produkte, sie entscheiden auch über Materialien, Vertriebswege und die Botschaften, die ein Produkt in die Welt sendet. Sie bestimmen mit ihrer Arbeit, welche Lebensstile cool sind und welche nicht. Insofern können sie nicht nur mit ihren Produkten, sondern auch mit ihrem Verhalten – insbesondere Entscheidungsverhalten – ein Rollenmodell für andere Branchen und Sektoren sein. Dafür reicht es aber nicht, den schönen Oberflächenschein zu wahren und irgendwelche Stereotypen zu bedienen. Es braucht Kreative, die ihr eigenes Dilemma im Spannungsfeld zwischen Money & Meaning öffentlich machen und vermitteln, was es wirklich in der Praxis bedeutet, den eigenen Werten treu zu bleiben und trotzdem beruflich erfolgreich zu sein. Ich behaupte jetzt mal, dass das fast jede berufstätige Person in der einen oder anderen Form beschäftigt. Hier können wir von der Kreativwirtschaft viel lernen, weil es dort eben nicht immer nur um Profitmaximierung geht. Dort entsteht jeden Tag wertvolles soziales Kapital, das lässt sich nur nicht sofort in monetäre Werte umwandeln. Kreative sind Experten wenn es darum geht, die business-NOT-as-usual-Praxis zu erforschen. Ich arbeite jetzt seit mehr als 22 Jahren in der Kreativwirtschaft, das ist der faszinierendste Aspekt daran.
Können Sie Beispiele für solche Business-not-as-usual-Modelle nennen?
Nehmen Sie zum Beispiel Patagonia. Die machen vor allem Outdoorbekleidung. Aber statt ausschließlich darauf zu setzen, dass ihre Kunden möglichst rasch und möglichst oft wieder neue Produkte von ihnen kaufen, bieten sie an, das Stück, auch wenn man es bereits länger getragen hat, im Bedarfsfall nochmals zu reparieren. Das erzeugt natürlich eine ganz andere Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden. Deren Kunden sind bereit, für nachhaltige Qualität mehr zu bezahlen. Während andere Modefirmen ihre Wertschöpfung im Fast Fashion-Modus generieren, also laufend neue Billigteile bringen, die alte ersetzen sollen, macht Patagonia genau das Gegenteil. Das führt zu Einstellungsveränderungen und zu Nachahmern. Aber es gibt so viele interessante Marktexperimente: Der Supermarkt ohne Verpackung zum Beispiel oder Food Courts, die den ökologischen Fußabdruck und den Transportweg von Obst und Gemüse beim Einkauf visualisieren. Aufgrund der Marktmacht der großen Ketten können solche Konzepte natürlich im Moment nur Anreize schaffen. Aber diese Konzepte greifen eminent wichtige Fragen der nachhaltigen Neugestaltung unserer Wirtschaft auf. Kreative sind gut im Gestalten von Lifestyles. Hier könnten Förderungen dabei helfen, alternative Lebensstile auf den Weg zu bringen – auch wenn der Mainstream das nicht will.
Bisher gilt aber hauptsächlich: Wirtschaftlicher Erfolg ist cool.
Ich kenne etliche Leute aus der Kreativwirtschaft, die sehen ihren Erfolg sehr differenziert. Ein erfolgreicher Start-up-Unternehmer in Berlin, der inzwischen mehrere hundert Mitarbeiter hat, hat mir einmal gesagt: „Ich wollte das gar nicht. Ich wollte nie so groß werden. Mittlerweile bin ich nur mehr der Sachbearbeiter meines eigenen Unternehmens. Darum ist es mir aber gar nie gegangen.“ Dahinter steht natürlich ein viel substantielleres Thema als die vordergründige Fragestellung, ob ich mit meiner Idee einen wirtschaftlichen Erfolg generieren kann. Es geht darum, ob das eigene Unternehmen so gewachsen ist, wie man es selbst wollte oder so wie andere es für mich wollten. Es gibt Leute, die machen ein paar Flaschen hervorragenden Grünen Veltliner im Jahr. Und mehr wollen sie auch nicht erzeugen. Obwohl sie viel mehr davon verkaufen könnten. Die brauchen auch meist keine Förderungen. Solche Menschen haben ihre Ziele ganz klar vor Augen.
Das führt natürlich auch zu der Grundsatzfrage: Wie verbindet sich denn Geld überhaupt mit Sinn? Sie haben sich im Zuge ihrer Arbeit für das von Ihnen gemeinsam mit einer Investorin aus Boston gegründete Unternehmen shapeshifters ja mehrere Jahre intensiv mit dieser Frage beschäftigt.
Ich habe mit ihr gemeinsam eine GmbH gegründet. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was ihre Motivation als Business Angel war – neben den rein monetären Interessen. Erst viel später ist mir klar geworden, dass es unendlich viele Motivationsfaktoren für ein Investment geben kann und dass es nicht nur einen monetären return-on-investment, sondern auch einen return-on-meaning gibt. Seither beschäftigt mich die Frage, aus welchen Gründen Personen in Kreative investieren. Und da gibt es viele interessante Beispiele. Vor Kurzem habe ich ein Künstlerkollektiv bestehend aus 30 Personen kennengelernt. Was deren Arbeitsweise betrifft, bilden die eine radikale Antithese zu jedem strukturierten Innovationsprozess, sie folgen ausschließlich ihrer Leidenschaft und suchen Wege und Umsetzungsmöglichkeiten, die sich quasi von selbst ergeben. Wahrscheinlich hat genau deswegen ein weltbekannter Autor und Produzent in sie investiert, er teilt ihre Leidenschaft.
Es stellt sich aber gleichzeitig auch die Frage: Welche Auswirkungen hat das auf das Kollektiv selbst, wenn plötzlich so viel Geld auf dem Tisch liegt? Kann nicht gerade das viele Geld auch die Kreativität dieses Kollektivs wieder zerstören.
Da sprechen Sie jetzt natürlich den Organisationsentwickler in mir an. Ja, das stimmt. Solange kein Geld im Spiel ist, zählen andere Währungen. Was hier getauscht und vermehrt wird, ist soziales Kapital innerhalb der Gruppe. Das verändert sich sofort, sobald outside investment in dieses soziale System eingebracht wird. Das mündet in sehr interessante Prozesse. Dann tauchen plötzlich Fragen auf, die vorher keine Rolle gespielt haben: Was ist meine Arbeit hier eigentlich wert? Was ist der Wechselkurs zwischen dem eingebrachten Sozialkapital und dem finanziellen Kapital?
Und wer bekommt wieviel? Sind Geld und Kreativität eigentlich natürliche Feinde?
Gute Frage.
Über den Gesprächspartner
Eric Poettschacher arbeitet seit 1994 als selbständiger Kommunikations- und Organisationsberater mit Schwerpunkt Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Wissensökonomie. Das von ihm entwickelte Beratungsmodell „Money & Meaning“ wurde u.a. von NESTA (National Endowment for Science, Technology and Arts) für das Creative Pioneer Programm in London eingesetzt. Seine Ausbildung für systemische Organisationsentwicklung absolvierte er bei der Beratergruppe Neuwaldegg. Von 2013 bis 2016 war er geschäftsführender Gesellschafter von Shapeshifters, einem weltweiten Korrespondenten- Netzwerk für die Creative Industries.