Bedroom Exodus – Konzepte für eine schlafkulturelle Revolution im öffentlichen Raum
Bedroom Exodus nennt sich das Manifest des jungen Architektenteams Jerome Becker, Florian Sammer und Lukas Vejnik, die zur „schlafkulturellen Revolution“ aufrufen. Ihre als Architekturprojekt angelegten Untersuchungen hinterfragen die sozialgeschichtlichen Entwicklungen und kulturellen Unterschiede der Einbettung des Schlafes in unseren Alltag.
Der durchgehende Nachtschlaf im intimen Raum des privaten Schlafzimmers ist eine kulturgeschichtlich relativ junge europäische Entwicklung. Erst seit dem 17. Jahrhundert wurde es in Häusern des europäischen Adels allgemein üblich, eigene Räume vorzusehen, die ausschließlich dem Nachtschlaf gewidmet waren.
Das Architektur- und Designprojekt „Bedroom Exodus“ stellt diese kulturell determinierte Form des Schlafes in Frage. Dabei werden auch Fragen nach der Akzeptanz und dem Stellenwert des Schlafes in unserer modernen Leistungsgesellschaft aufgeworfen. Durch Designentwürfe, die die Verlagerung des Schlafes in den halböffentlichen und öffentlichen Raum anregen sollen, soll auch das Thema selbst generell zur Debatte gestellt werden. Initiiert wurde das Projekt von den drei Wiener Architekten, Jerome Becker, Florian Sammer und Lukas Vejnik.
Wir verbringen ein Drittel unserer Lebenszeit schlafend. Doch erst seit der ersten industriellen Revolution hat es sich parallel zu den eingeführten Arbeitszeiten eingebürgert, dass man eine fixe Schlafphase über die Nacht nützt. Das ist bis heute so geblieben. Die Schlafphase dauert im Schnitt sieben bis acht Stunden. Außerdem ist der Schlaf eng mit dem Wohnen verknüpft. Das Schlafzimmer ist immer auch ein Rückzugsort.
Schlaf als kollektive Erfahrung im öffentlichen Raum
Schlaf ist in unserem Kulturkreis nur in wenigen öffentlichen Zusammenhängen akzeptiert, zum Beispiel ein Nickerchen während einer Zugfahrt. Anders verhält es sich in anderen Kulturkreisen: die Siesta-Kultur in Südamerika und im Mittelmeerraum oder die Inemuri in Japan – mehrere kurze Power-Naps über den Tag verteilt. Um neue Ideen des Schlafens zu entwickeln, analysierte das Bedroom Exodus- Team die Schlafgewohnheiten unterschiedlicher Kulturräume, und versuchte diese Erkenntnisse in ihrem Fall auf Wien zu übertragen. Jerome Becker, Florian Sammer und Lukas Vejnik lernten sich an der TU Wien kennen. Im Rahmen eines Seminars am Institut für Entwerfen und Architektur entstanden 2013 die ersten Ideen zum Bedroom Exodus. Florian Sammer lehrte an der TU Wien, während Jerome Becker und Lukas Vejnik noch studierten. Als unabhängiges Forschungsprojekt verfolgten sie ihre Ideen zu einer schlafkulturellen Revolution weiter.
Das Forschungstrio liefert Entwürfe, die zeigen wie der Schlaf in alltägliche Situationen unseres öffentlichen Lebens integriert werden könnte. Da wäre eine Art Hängematte in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder eine Erweiterung für Sitzmöbel in Cafés u.Ä., die den Schlaf auch im öffentlichen Raum Platz machen könnten. Durch die Entbindung des Schlafes von einem konkreten Ort ergibt sich eine polyzentrische Stadtnutzung und das Schlafverhalten sollte überdacht werden. Das bedeutet, es sollen in einer polyzentrischen Stadt vielfältige Angebote für einen polyphasischen Schlafrhythmus anzutreffen sein. Dieses Gedankenmodell sieht vor, dass Nacht- und Tageszeit individuell und subjektiv wird. Dazu gehört auch, dass immer und überall Möglichkeiten zum Schlafen angeboten werden sollten. Der Schlaf findet dann nicht mehr nur im privaten Schlafzimmer statt, sondern kann vielmehr als eine kollektive „Aktivität“ wahrgenommen werden.
Kann die polyphasische Schlafkultur Schlafstörungen entgegenwirken?
Die heutige Leistungsgesellschaft ignoriert oftmals das Bedürfnis nach Schlaf und Ruhephasen. So spricht auch der Neurobiologe und Wissenschaftsjournalist Peter Spork von einer „chronisch unausgeschlafenen Gesellschaft“. Firmen stellen sogar eigene Schlafkabinen zur Verfügung, um ihre Angestellten noch länger an ihren Arbeitsplatz binden zu können. Leistungsdruck und die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, fördern demzufolge eine der Zivilisationskrankheiten unserer Zeit: die Schlaflosigkeit. Der Leistungsdruck in unserer kapitalistischen Welt schürt den Gedanken, dass man tagsüber funktionieren muss und der Abend/die Nacht der Erholung dient. Laut Mediziner_innen spricht nichts gegen einen Mittagsschlaf. Umgekehrt schadet es der Gesundheit aber auch nicht, nur nachts zu fixen Zeiten zu schlafen. Wichtig ist nur, dass man einen regelmäßigen Schlafrhythmus hat. Unser eingebürgerter Schlafrhythmus basiert auf ökonomischen und wirtschaftlichen Interessen. Denn Babys haben einen polyphasischen Schlafrhythmus, der ihnen aber im Laufe ihrer Entwicklung abgewöhnt wird. Dieser Rhythmus ist wiederum besser an die zu erbringenden Leistungen unserer westlichen Arbeits- und Ausbildungsgepflogenheiten angepasst.
Das Team von Bedroom Exodus lebt zwar bereits einen regen Austausch mit „Schlafexpert_innen“ wie Hannah Ahlheim, die sich wissenschaftlich mit der Geschichte des Schlafes beschäftigt hat, oder der Gallionsfigur des polyphasischen Schlafes Marie Staver, in einem nächsten Schritt plant es aber die verstärkte Auseinandersetzung mit der Rolle des Ausruhens in unterschiedlichen sozialen und räumlichen Gegebenheiten.
Jerome Becker, Florian Sammer und Lukas Vejnik
Forschungskollektiv
Bedroom Exodus
www.bedroomexodus.com