Über den Einfluss kreativer Mediennutzungen auf die Demokratien der Zukunft
— Daniel Erlacher
Wie wird die Hegemonie weniger Konzerne im Bereich der sozialen Medien die Demokratien der Zukunft beeinflussen? Welche Rolle können gerade öffentlich-rechtliche Medien in einer zunehmend unübersichtlich gewordenen Welt im demokratischen Prozess einnehmen? Wie beeinflussen Algorithmen heute schon die demokratische Meinungsbildung und auch die kreativen Prozesse? Was kann faire und nachhaltige Informationstechnologie für die Demokratie leisten?
Kreativität ist allgemein die Fähigkeit, etwas vorher nicht da gewesenes, originelles und beständiges Neues zu kreieren.¹
Die Ausgangslage
Im noch jungen 21. Jahrhundert stellt sich angesichts der radikalen Umbrüche in den Bereichen der Technologie und damit auch der Medien die Frage, wie mit dem Potenzial der Kreativität zum Nutzen der Menschen umgegangen werden kann. Oder besser: Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich durch diese neuen Rahmenbedingungen in den Bereichen der Gesellschaftspolitik und der Demokratie?
Dazu müssen aktuelle Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologie und Mediennutzung kritisch hinterfragt werden. Denn eine Monopolisierung der sozialen Medien und ihre Konzentration auf wenige US-Konzerne, die den gesamten Markt beherrschen, ist gerade aus demokratischen Gesichtspunkten problematisch. Die Services der IT-Giganten wie Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft und Co. sind schließlich nicht dazu da, um die Demokratie zu stärken, sondern um Profite zu generieren. Dass die Nutzer_innen dabei selbst zu Produkten werden, mit deren Daten hinter ihrem Rücken enorme Geschäfte gemacht werden, wird immer mehr Menschen bewusst. Welche bedeutende Rolle dabei intransparente Algorithmen einnehmen, die diesen Systemen hinterlegt sind, ist wenigen Menschen ausreichend bewusst. Algorithmen bestimmen, was Nutzer_innen zu sehen bekommen, wenn sie sich auf Facebook einloggen. Oder wie das Suchergebnis bei Google optimal personalisiert wird. Dass dabei sogenannte „Filter Bubbles“² entstehen – nicht unbedingt zum Vorteil der Nutzer_innen – ist evident. Wenn Algorithmen unser Leben optimieren, dann laufen wir Gefahr vieles zu verlieren, was bislang in der Evolution des Menschen entscheidend war: Das Über-den-Tellerrand blicken; das Außergewöhnliche; das Zufällige; das NICHT- Berechnete.
Algorithmen und Kreativität
Vince Ebert, Kabarettist, Autor und Diplom-Physiker, meint dazu: „Algorithmen optimieren die Kreativität weg“³. Ist Kreativität programmierbar? Sind Inspiration und Mechanismus auf lange Sicht unvereinbar? Eine Vielzahl vollkommen neuer Fragestellungen ergibt sich aus den Systemzwängen der neuen Technologien. Die Antworten werden evolutionär folgen.
Als gesichert gilt: Informationstechnologien, moderne Medien und ihre zugrunde liegenden Algorithmen können für den kreativen Prozess der Nutzer_innen enorme Vorteile bringen und so eine Kaskade an Innovationen auslösen. Beispiele gibt es viele. Vor allem der Boom an Apps für mobile Betriebssysteme ist dabei gegenwärtig hervorzuheben. Der Kreativität sind ja keine Grenzen gesetzt, heißt es. Aber gilt das auch in diesem Fall? Grundsätzlich nicht. Denn die Grenzen der Kreativität bei mobilen Apps enden bei den Nutzungsbedingungen und AGBs der Konzerne, die den Markt dominieren. Es gibt bereits einige Beispiele von Zensur⁴ – vor allem wenn die Kreativität auch ins Politische geht oder künstlerisch einen Grenzgang darstellt.
Öffentlich-rechtliche Medien im 21. Jahrhundert
In Europa sind sie seit Jahrzehnten bewährt und werden von der Öffentlichkeit auch als wichtiger Baustein unserer Demokratie verstanden: öffentlich-rechtliche Medienunternehmen, die im Gegensatz zu den privaten Medien demokratischer Kontrolle unterliegen und denen ein Wertesystem zugrunde gelegt wird, das auf einer Gemeinwohlbestimmung gründet. Klassische „Public Service Media“ (PSM) Broadcaster fokussieren traditionell auf TV und Radio und unterliegen für ihre Aktivitäten online meist rigorosen Regulierungsgesetzen.⁵ Doch gerade die PSM hätten enormes Potenzial um Kreativität im Bereich „Medien und Technologie“ zu fördern – vor allem unter dem Aspekt ihrer demokratiepolitischen Relevanz. Dazu wären entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen erforderlich und inhaltlich müsste auf nachhaltige Produktion der Innovation gesetzt werden.
Förderung von fairer und nachhaltiger IT
Kreativität und Innovation müssen im Kontext des öffentlichen Mehrwertes, den sie erzeugen können, und ihrer demokratiepolitischen Relevanz unter bestimmten Bedingungen gefördert werden: Programmierer_innen sollten Codes mit den Lizenzmodellen der Freien Software gestalten und auf diese Weise transparent und wiederverwendbar machen. Fördermodelle wiederum sollten die faire Bezahlung von Entwickler_innen sicherstellen und Rahmenbedingungen schaffen, die Innovation und Kreativität ins Zentrum rücken. Auch die Schaffung von geeigneten Räumen zum Austausch und der Interaktion von Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, sollte gefördert werden.
Zielgerichtete Fördermaßnahmen und eine Einbettung der Entwicklungen in das Ökosystem der PSM in Europa würden für die nötige Relevanz und Reichweite der Innovationen sorgen. Bestimmte Herausforderungen genau zu definieren und Projekten konkrete demokratiepolitische Fragestellungen zugrunde zu legen, kann das kreative Potenzial gesellschaftspolitisch relevant kanalisieren. Beispiele für spannende Visionen in diesem Bereich gibt es viele⁶ wie zum Beispiel ein „öffentlich-rechtliches Betriebssystem“⁷.
Open Data und Freie software
Zwei wichtige Begriffe für Commons-basierte Innovation und Nachhaltigkeit sind „Open Data“ und „Freie Software“: Viele Datenbestände, die im Zuge der Open Data-Bewegung mittlerweile kreativ genutzt werden können, sind nicht nur im Sinne der Transparenz bereits von großem Nutzen. Seien es offizielle kartographische Datenbestände im Rahmen des OpenStreetMap⁸-Projektes oder auch die Daten des öffentlichen Verkehrs: Der Mehrwert entsteht erst durch die freie Zurverfügungstellung dieser Daten. Deren Verwertung erfolgt wiederum meist mit Codes und Lizenzen aus der Welt der Freien Software.
Kreative Mediennutzung und Demokratie
Es gilt, die zugrunde liegende Technologie und die Beschaffenheit der genutzten Medien im demokratiepolitischen Kontext genau zu hinterfragen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Potenziale menschlicher Kreativität nicht nur der Logik des Profits unterzuordnen, sondern vor allem auch die Relevanz für die gesellschaftspolitische Entwicklung hervorzuheben.
Es gibt ein enormes kreatives Potenzial im Kontext mit den modernen Technologien: demokratische Entscheidungsfindungsprozesse; gesellschaftliche Organisationsformen im lokalen und nationalen Kontext; Wissensvermittlung, Bildung und Informationssysteme; Open Data und freie Kartographie; mobile Anwendungen; Überwindung von Sprachbarrieren und vieles mehr.
Kreativität braucht Raum zur Entfaltung. Dieser Raum sollte frei von kommerzieller Determinierung, dafür aber voll von gesellschaftspolitischer Bedeutung sein. Die Möglichkeiten sind weitreichend – vor allem wenn eine europaweite Kooperation forciert wird. In diesem Bereich hätte der „Alte Kontinent“ tatsächlich das Potenzial, demokratiepolitische und ethische Maßstäbe von globaler Relevanz zu setzen, die in näherer Zukunft aus anderen Regionen der Welt wohl nicht zu erwarten sein werden. Es braucht Förderungen und Rahmenbedingungen, die die kreative Nutzung von Medien und Technologien im Kontext der Weiterentwicklung unserer Demokratien im noch jungen 21. Jahrhundert in den Mittelpunkt stellen, und damit auch ihre Zukunft sichern – in Europa und darüber hinaus.
Der Autor
Daniel Erlacher ist seit 2005 Mitbegründer und Organisator des Elevate Festivals in Graz und bewegt sich mit seiner Arbeit thematisch vor allem an den Schnittstellen von freien und offenen Technologien, Medien, Kunst und kritischem Diskurs. Er koordiniert den Diskursbereich des Festivals, den Elevate Mediachannel und die Elevate Awards. Als Musiker hat er zahlreiche Veröffentlichungen auf internationalen Plattenlabels vorzuweisen. Des Weiteren ist er Jury-Mitglied bei den Big Brother Awards Österreich und Betreiber mehrerer Webserver.
1 Michael Mumford: Where have we been, where are we going? Taking stock in creativity research. In: Creativi ty Research Journal, 15/2003, S. 107–120. 2 Vgl. Eli Pariser: The Filter Bubble. How the New Personalized Web Is Changing What We Read and How We Think. New York [u.a.]: Penguin Books 2012. 3 Ingo Rentz: Kabarettist Vince Ebert. „Algorithmen optimieren die Kreativität weg” In: Horizont Online vom 17.05.2016. Online URL: http://archive.is/u0R0B (Stand: 29.06.2016). 4 Online URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Censorship_by_Apple (Stand: 29.06.2016). 5 Christian Meier: Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter. Einführung in die Debatte. Online URL: http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/medienpolitik/171926/einfuehrung-in-die-debat te?p=3 (Stand: 29.06.2016). 6 Online URL: http://document.li/cu7A (Stand: 29.06.2016). 7 Stephan Doerner: CCC fordert EU-Betriebssystem für Smartphones. In: The Wall Street Journal vom 08.05.2014. Online URL: http://archive.is/kvh37 (Stand: 29.06.2016). 8 Online URL: http://openstreetmap.org (Stand: 29.06.2016)