Open Source und Creative Commons
— Sonja Bettel
Das Digitale Zeitalter verlangt nach einem Umdenken, denn Ideen und Werke als unser höchstes Gut, können nicht weggesperrt werden. Open Source und Creative Commons stellen gute Lösungen dar, um den freien Austausch kreativer Ideen zu revolutionieren.
Wer kreativ tätig ist, hat im Grunde nur seine Ideen zu verkaufen. Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft müssen wir unsere wertvollsten assets gut schützen. Wir können also die Aufzeichnungen unserer Ideen und unsere Werke wegsperren; wir können unsere Werke durch technische Maßnahmen unkopierbar machen (bzw. es versuchen), wir können unsere Ideen durch Gesetze und Verträge schützen und Zuwiderhandeln mit hohen Strafen belegen. All diese Maßnahmen haben sich im digitalen Zeitalter als unzureichend erwiesen. Kopierschutz wurde geknackt, vermeintlich sichere Datensafes wurden aufgebrochen, Verträge gebrochen, Strafandrohungen ignoriert. Viele Kreative machte das frustriert und wütend. Sie fühlten sich beraubt, geringgeschätzt, ausgebeutet. Andere haben darüber nachgedacht, ob ihre Ideen wirklich ihre Ideen sind und deshalb nur sie davon profitieren können sollen. Haben nicht alle mehr davon, wenn Ideen (mit)geteilt werden, wenn andere darauf aufbauen und sie verändern können? Von der Open Source und der Free Culture-Bewegung wird dazu gerne der englische Physiker und Mathematiker Isaac Newton zitiert: „If I have seen further, it is by standing on the shoulders of giants“ (1676 in einem Brief an seinen Rivalen Robert Hooke. Wobei Newton dieses Bild auch nicht erfunden hat, wie der Artikel „Standing on the shoulders of giants“ in der englischsprachigen Wikipedia ausführlich darlegt).
Die Pioniere der Bewegung des freien Austausches von kreativen Arbeiten kommen aus dem Bereich der Software. Richard Stallman und Linus Torvalds sind die bekanntesten von ihnen, weil ersterer die GNU General Public License (GPL) eingeführt und letzterer das Betriebssystem Linux initiiert hat. Für Stallman war wichtig, dass der Umgang mit Software ein reger und offener Austausch zwischen Entwicklern und Nutzern bleibt, wie er es in den 1970er-Jahren bei seiner Arbeit am Massachusetts Institute of Technology erlebt hatte. Als Unternehmen Anfang der 1980er-Jahre begannen, Software mit Lizenzen und geheim gehaltenem Quellcode zu verkaufen, gründete er das GNU-Projekt und die Freie Software-Bewegung. Freie Software wird seit Jahren meist als Open Source-Software bezeichnet, was Richard Stallman nicht gefällt, weil es sein Anliegen auf den Quellcode reduziert, aber das ist eine andere Geschichte. Dafür wird der Begriff Open Source heute auch für Anderes als Software verwendet, doch dazu kommen wir später.
Als die Content-Industrie in den 1990er-Jahren begann, auf digitale Kopiermöglichkeiten und Musik-Tauschbörsen mit Digital Rights Management und massiven Klagen gegen die sogenannte „Musikpiraterie“ zu reagieren, entstand im kulturellen Bereich Widerstand und dann ein Lösungsansatz namens Creative Commons. Die Initiative wurde 2001 in den USA vom Rechtsprofessor Lawrence Lessig von der Stanford Law School und anderen Personen gegründet. Ende 2002 wurden die ersten Lizenzen für mehr Spielraum bei der Verwertung kreativer Werke veröffentlicht.
Creative Commons wirkte derart befreiend, dass die Initiative 2004 die Goldene Nica des Prix Ars Electronica in der Kategorie Net Vision erhielt. Es folgte eine Aufbruchstimmung, die alle kulturellen Bereiche ansteckte. Beim iSummit der iCommons-Initiative im Juni 2007 in Dubrovnik kamen engagierte Menschen aus aller Welt aus den Bereichen Wissen, Musik, Bildung, Film, Literatur, Recht, Software, Entwicklungszusammenarbeit, Kunst und vielen mehr zusammen und berieten darüber, wie noch mehr kulturelle Werke noch mehr Menschen frei zugänglich gemacht werden könnten. Leider erklärte damals bei der Konferenz Creative Commons-Gründer Lawrence Lessig seinen Rückzug aus dem Projekt, um sich dem Kampf gegen Korruption zu widmen, wodurch die charismatische Führungsfigur verloren ging. Nach einem weiteren iSummit ist die Initiative (deshalb?) sanft entschlafen, doch ihre Protagonisten sind weiterhin aktiv. Creative Commons ist kaum mehr in den Medien, aber es existiert und gedeiht. 1,1 Milliarden Werke sind mittlerweile unter einer CC-Lizenz veröffentlicht. Die Lizenzen wurden an die Bedürfnisse der Praxis und die Rechtslagen verschiedener Länder angepasst, auch für Österreich gibt es eine Version. Es sind eigene Plattformen für CC-Musik entstanden, auf der Foto-Plattform Flickr stehen mehr als 870.000 Fotos mit CC-Lizenzen zur Verfügung. In der Literatur ist Creative Commons noch weniger weit verbreitet als im Bereich von Musik oder Film, der kanadische Science Fiction-Autor Cory Doctorow zeigt aber, dass man Werke frei zur Verfügung stellen (online/digital) und gleichzeitig davon leben kann (durch Verkauf von gedruckten Büchern). Cory Doctorow tut dies aus Überzeugung, verweist aber auch auf die Vorteile für seine Arbeit: Sein Roman „Little Brother“, in dem er eine unter Terror-Hysterie total überwachte Gesellschaft samt Widerstandskampf dagegen beschreibt, wurde dank frei verfügbarer digitaler Version von Freiwilligen in unzählige Sprachen übersetzt und in Ländern mit beschränkten Bürgerrechten wie eine politische Schrift verbreitet. Auf „klassischen“ Wegen des Verlagswesens wäre das niemals möglich gewesen, sagt der Autor.
Creative Commons reagiert auch auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. So sind derzeit Lizenzen und Projekte für arabische Länder in Arbeit, es gibt ein aktuelles Projekt für die Black Lives Matter-Bewegung und eine Diskussion darüber, wie CC-Lizenzen am besten Modellen für 3D-Drucker angefügt werden könnten. 3D-Drucker sind übrigens ein Feld, in dem die Bedeutung des freien Austauschs von kreativer Arbeit noch gar nicht ausreichend gewürdigt wurde. Beim World Humanitarian Summit, der ersten UNO-Konferenz für humanitäre Hilfe, der Ende Mai 2016 in Istanbul veranstaltet wurde, zeigten die High Tech Humanitarians und andere Initiativen, wie von Katastrophen, Kriegen und Flucht betroffene Gemeinschaften von Open Source-Software, -Design und 3D-Druckern profitieren können. Sie stellen Baupläne und 3D-Modelle für medizinische Werkzeuge, Solaranlagen, Open Street Map-Straßenkarten, Apps, Datenbanken und vieles mehr zur Verfügung. Ihre Prämisse lautet: Wenn meine Arbeit durch Forschungsförderungsprogramme, Spenden oder (Freiwilligen-)Zusammenarbeit entstanden ist, dann kann ich ihre Ergebnisse anderen frei zur Verfügung stellen – vor allem, wenn diese aufgrund von Ungerechtigkeit in der Welt und ungleicher Verteilung von Ressourcen benachteiligt sind. Wie in der Open Source-Software-Bewegung hält auch in anderen Bereichen immer mehr die Idee Einzug, dass Freigiebigkeit und Zusammenarbeit allen Beteiligten nützt.
Dass sich kreative Arbeit, freie Kultur und kommerzielles Handeln nicht ausschließen müssen, sondern flexibel ergänzen können, zeigen immer mehr Beispiele. Nehmen wir eines aus einem aktuellen Bereich: Das Wiener Design-Studio EOOS hat den Auftrag erhalten, für die Ausstellung „Orte für Menschen“ bei der Architektur-Biennale 2016 in Venedig einen Beitrag zu leisten. EOOS übernahm dafür die Adaption der ehemaligen Zollamtsschule in Wien Erdberg, in der jetzt bis zu 600 Asylwerber wohnen. Dafür wurden 18 verschiedene Möbel entwickelt, die für Gemeinschaftsküchen, Aufenthaltsbereiche und Zimmer genützt und in der mit Spenden eingerichteten Werkstatt im Quartier von Bewohnern gebaut werden. Anders als im Möbel-Design üblich wurden die Entwürfe und Baupläne dieser Social Furniture aber nicht urheberrechtlich geschützt. Sie wurden – ganz im Sinne des Open Source – in einem eigens aufgelegten Katalog unter einer Creative Commons-Lizenz Attribution-NonCommercial-ShareAlike CC BY-NC-SA, veröffentlicht, damit andere Initiativen sie nachbauen, verändern und für Gemeinschaften (nicht-kommerziell) nützen können.
Die Autorin
Sonja Bettel ist Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Wissenschaft, digitale Technologien/Netzpolitik und Gesellschaft. Sie arbeitet unter anderem für Radio Ö1, Deutschlandradio Kultur, die Furche, LebensArt, upgrade, LandLuft und Buchpublikationen. Seit den 1990er-Jahren beobachtet und
dokumentiert sie die Entwicklungen um freie Netze, freie Kultur und freies Wissen.