
Wastecooking – Mit „Artivismus“ gegen Lebensmittelverschwendung und Fremdenfeindlichkeit
Das Dokfilm-Kunstprojekt „wastecooking“ des gelernten Kochs, Filmemachers und „Artivisten“ David Groß schärft und verschiebt auf ironisch-wirkungsvolle Weise unseren Blick auf die weltweite Lebensmittelverschwendung. Perspektivenwechsel steht auch im Mittelpunkt eines weiteren Projektes von David Groß: refugee.tv ist ein Online-TV-Projekt, das von Flüchtlingen gestaltet wird und Geschichten von der Welt, in der sie angekommen sind, einmal aus deren Perspektive erzählt.
Die Lebensmittelverschwendung hat mittlerweile enorme Ausmaße angenommen. Weltweit wird ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen. Über 150.000 Tonnen genießbare Nahrungsmittel landen alleine in Österreich jährlich im Müll.
Wenn man die Zahlen und Definitionen des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 heranzieht, leiden 11 % der Weltbevölkerung an chronischem Hunger. Angesichts dessen ist die Lebensmittelverschwendung in den Industrieländern mehr als nur ein von den Welthandelssystemen bedingtes ethisches Problem. Denn auch ein Drittel aller klimaschädlichen Abgase werden durch die Lebensmittelerzeugung verursacht.
Mit „wastecooking“ schafft der Salzburger David Groß Bewusstsein für diese Missstände. In seinen Reportagen, Dokumentationen und Aktionen im öffentlichen Raum bereitet der gelernte Koch Gerichte aus weggeworfenem Essen zu und entwickelt eigene Rezepte für Zutaten aus der Mülltonne. So weist er öffentlichkeitswirksam auf die Nahrungsmittelverschwendung hin. Gleichzeitig formuliert „wastecooking“ drei Forderungen: die Lebensmittel-Überproduktion stoppen, den Konsumwahn bekämpfen, die Reste sinnvoll verteilen und kreativ kochen. Urbane Protestpraktiken wie Containern, Dumpstern und Wastediving sollten deshalb entkriminalisiert und die verpflichtende Weitergabe von unverkäuflichen Lebensmitteln an die Zivilgesellschaft gesetzlich vorgeschrieben werden.
„Wastecooking“ gibt so verschwendeten Nahrungsmitteln ihre Stellung als Kulturgut zurück und zeigt in seiner künstlerischen Praxis, wie man kreativer und wertschätzender mit diesen Lebensmitteln umgehen kann.
Food is culture… don’t waste it, cook it!
2012 initiierte David Groß das aktionistische Kunstprojekt „wastecooking“ und startete mit einem siebenköpfigen Team. Die Aktionen standen unter dem Leitbegriff „Artivismus“, also dem Wirken im Grenzbereich von Kunst, Politik und Aktivismus. Zunächst wurde eine Web-Video-Serie produziert und konsumkritische Kochperformances im öffentlichen Raum durchgeführt. Auch mit dem Ziel, die Idee unter dem Leitmotto „Waste-Köche aller Länder vereinigt euch!“ zu internationalisieren.
Im September 2013 eröffnete „wastecooking“ im Rahmen des Kunstfestivals „Wienwoche“ den europaweit ersten „free supermarket“ in Wien. Neben aussortierten Lebensmitteln wurden dort auch „Mülltauch-Touren“ und Gratis-Kochkurse angeboten.
Von Sommer 2014 bis zum Frühjahr 2015 startete David Groß ein weiteres künstlerisches Experiment, um auch international auf die Nahrungsmittelverschwendung hinzuweisen. Dafür reiste er in fünf Wochen durch fünf europäische Länder. Sein Ziel war es, auf der Reise einzig mit dem zu kochen, was andere wegwerfen. Aktivist_innengruppen, Köch_innen und Wissenschaftler_innen, die sich ebenso mit dem globalen Problem der Lebensmittelverschwendung beschäftigen, unterstützten ihn dabei. Dokumentiert wurde diese Fahrt in einer fünfteiligen TV-Serie sowie als abendfüllender Film.
Ein TV-Sender von Flüchtlingen als Akt der Selbstermächtigung
Lebensmittelverschwendung, Klimaerwärmung, Hungerkatastrophen und Flüchtlingsströme sind miteinander verwobene globale Probleme, deren ursächliche Zusammenhänge und Auswirkungen erst sichtbar und verständlich werden, wenn man die Perspektive darauf ein wenig verschiebt. Und so wie David Groß mit seiner wastecooking-Haute Cuisine auf subversiv-ironische Weise das Thema Lebensmittelverschwendung einer saturierten Wohlstandsgesellschaft einprägsam vor Augen führte, so ist auch ein weiteres Projekt des jungen Salzburgers darauf angelegt, durch eine gezielte Perspektivenverschiebung, die lokalen Auswirkungen eines globalen Problems besser nachvollziehbar zu machen: „refugee.tv“ ist ein Online-TV-Projekt, bei dem nach Europa Geflüchtete unter dem Leitsatz „the other perspective“ ihr eigenes TV-Programm gestalten. Ein in Europa bis dato einzigartiges Vorhaben.
Filmemacher_innen, Journalist_innen und Kameraleute, die teils Missstände in ihrer Heimat öffentlich machten und deshalb fliehen mussten, arbeiten dort gemeinsam mit Filmteams aus Österreich. So können sie ihre eigene leidenschaftliche Arbeit auch in ihrer neuen Situation als zur Migration Gezwungene fortsetzen. Ein Perspektivenwechsel ist dabei das Ziel. Indem die Flüchtlinge über ihre eigenen Erfahrungen und jetzige Situation berichten, werden sie vom medialen Objekt zu aktiven Gestalter_innen. Ihre Sichtweise journalistisch in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen, wird so ein Akt der Selbstermächtigung. Statt über Krisen wird dabei vor allem über Chancen berichtet, um den „Anderen“ nicht als Gefahr, sondern als Bereicherung zu erleben. Die Reportagen und Berichte drehen sich dabei nicht nur um Themen, die die Flüchtlinge unmittelbar betreffen, sondern bieten immer wieder auch liebevoll- ironische Blicke von außen auf Gewohnheiten und Bräuche des Alpenraums, die von außen betrachtet manchmal recht seltsam anmuten können.
Medienmacher_innen aus sechs verschiedenen Ländern arbeiten, unterstützt von einem vierköpfigen Support-Team aus Österreich, zusammen. Damit ist „refugee.tv“ auch ein gutes Beispiel transkultureller Teamarbeit und transkulturellen Dialogs. Ihre Reportagen und Magazine wie auch ein Auftritt beim Medienkunstfestival „Digital Spring“ haben dem Projekt bereits breite mediale Aufmerksamkeit verschafft. Da sich mittlerweile eine große Zahl an Medienschaffenden, die aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung aus ihren Heimatländern flüchten mussten, bei „refugee.tv“ meldeten, wurde im April 2016 erstmals ein „MEDIA SUMMIT“ organisiert. Bei diesem ersten, österreichischen Medientreffen für Film- und Fernsehmacher_innen, die als Flüchtlinge nach Europa gekommen sind, wurde Vernetzung und Austausch ermöglicht und ein Filmworkshop für junge Flüchtlinge durchgeführt. Durch ihre Filme und Filmkunst, TV-Formate und Performances demonstriert „refugee.tv“ welchen wichtigen Beitrag Flüchtlinge zur europäischen Medienlandschaft leisten können – wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt.
David Groß
Filmemacher, Aktivist
wastecooking & refugee.tv
www.wastecooking.com
www.refugee.tv