Kunst kontrolliert die Kontrolleur_innen – Filmen gegen die Überwachung
Manu Luksch ist eine in Wien und London lebende Künstlerin, die sich in ihrer Arbeit kritisch mit den Themen Big Brother, Datenmissbrauch und Kontrollgesellschaft auseinandersetzt. Für ihr Film-Projekt „Faceless – Die Jagd nach dem Datenschatten“ hat sie etwa ausschließlich Bildmaterial von omnipräsenten CCTV (Closed-circuit Television) -Überwachungskameras verwendet und damit eine beklemmende Realität der alltäglichen Überwachung sichtbar gemacht.
In London, der Stadt mit einer der höchsten Dichte an Überwachungskameras weltweit, wird das Verhalten eines Bürgers/einer Bürgerin im Schnitt 300 mal pro Tag von Kameras erfasst und aufgezeichnet. Manu Luksch beschloss, diesem Überwachungsnetzwerk mit den Mitteln der Kunst auf den Leib zu rücken. Dazu machte sie sich das britische Datenschutzgesetz von 1998 zunutze, das vorschreibt, auf jede installierte Überwachungskamera mit entsprechender Beschilderung hinzuweisen, und das jeder Person das Recht gibt, sich Aufnahmen, auf der sie zu sehen ist, von den Kamerabetreiber_innen gegen eine Bearbeitungsgebühr von höchstens zehn Pfund aushändigen zu lassen. In einem raffinierten Akt künstlerischen Aikidos nutzte Luksch dieses Gesetz, um diese erdrückende Überwachungsmacht in ein selbstermächtigendes Film-Manifest zu verwandeln. Grundgedanke war, keine eigenen Kameras oder Scheinwerfer, sondern ausschließlich Aufnahmen von Überwachungskameras zu nutzen. Luksch musste als Protagonistin in allen Sequenzen zu sehen sein, denn nur so hatte sie auch das Recht, die Herausgabe des Videoüberwachungsmaterials zu verlangen. Für den Ton muss separat gesorgt werden, da CCTV-Kameras keinen Ton aufzeichnen dürfen. Es galt also, für jede einzelne Kamera bei den einzelnen Betreiber_innen unmittelbar nach Aufzeichnung per Einschreiben den Antrag auf Herausgabe des Materials zu stellen, Lichtbild und einen Zehn-Pfund-Scheck beizufügen – fertig ist das Filmmaterial.
Kunst als Gestaltungsmedium für alternative Zukunftsmodelle
Für den 50-Minuten-Film benötigte Manu Luksch sieben Jahre Produktionzeit. Trotz eindeutiger Gesetzeslage war es nicht so einfach, an die Aufzeichnungen heranzukommen. Sehr viele Kamerabetreiber_innen ignorierten Anfragen, stellten absurde Forderungen, redeten sich heraus oder verwiesen auf verschwundene oder defekte Speichermedien. Das Recht am Abbild der eigenen Person mit ihrem Gesicht besteht zwar, ist aber schwer einzufordern. Der Titel des Films, „Faceless“, rührt aber nicht von diesen Beschaffungsschwierigkeiten her. Er ist vielmehr ein Kommentar zur geltenden Rechtslage, die verlangt, dass auf den herausgegebenen Aufnahmen alle Gesichter außer dem der anfordernden Person unkenntlich gemacht werden.
Kunst als Gestaltungsmedium für alternative Zukunftsmodelle, als Mittel der Kritik, etwa an der Vordeterminiertheit des öffentlichen Raumes und der Vertreibung des Individuums aus diesem, sind zentrale Themen der Arbeit von Manu Luksch, die mit ihren Projekten immer wieder für Aufsehen sorgt.
Luksch hinterfragt in ihren Arbeiten Smart-City-Technologien kritisch. Von der Industrie wurden in jüngerer Zeit mit großem Nachdruck Konzepte entwickelt, die den öffentlichen Raum nicht nur mit Kameras, sondern auch mit Netzwerken unterschiedlichster Sensoren zu überziehen trachten, die ständig messen, was wie wo in Bewegung ist. Dabei kann es sich um alle möglichen Daten handeln, vom Abwasservolumen bis hin zu Menschenströmen.
Auf solchen Echtzeitdaten aufbauende Echtzeitprognosemodelle sollen nach diesen Konzepten auch voraussagen, wo unerwünschte Situationen entstehen könnten. Diese Daten können nicht nur kommerziell, etwa für Prognosen von Konsumentscheidungen, verwertet werden. Sie könnten auch für Persönlichkeitsanalysen herangezogen werden, um auf Grundlage von Programmen und Algorithmen Prognoseaussagen über potenziell unerwünschtes zukünftiges Verhalten zu treffen.
Luksch stellt sich in ihren Medienarbeiten kritisch gegen solche Bestrebungen. Um die potenziellen Auswirkungen auf eine offene demokratische Gesellschaft sichtbar und nachvollziehbar zu machen, „konstruiert“ sie fiktive Personen, die mit unterschiedlichsten Verhaltensmustern solchen Datenanalysen unterzogen werden, um mit dieser Form eines spekulativen Szenarios einen Denkraum zur Verfügung zu stellen, wie derartige Smart-City-Technologien unseren Alltag verändern und bestimmen könnten.
Mit ihrem Projekt ambienttv.net hat sie eine Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaftskritik ins Leben gerufen, die sehr aktiv ist. Luksch geht es darum, die Prozesse und Wirkungen von Überwachungstechnologien auf den Alltag der Menschen sichtbar zu machen und zur Diskussion zu stellen.
Manu Luksch
Filmemacherin und Artivistin
www.manuluksch.com
www.ambienttv.net